Interview: Yvonne Hofstetter, Unternehmerin, Buchautorin und Juristin, zu Big Data und die Notwendigkeit europäischer KI-Systeme
Big Data: Wohin trägt uns die Datenflut?
Im Jahr 2020, so die Prognose der Online-Datenbank statista, steigt die Zahl mobiler Breitbandanschlüsse auf 5,7 Milliarden. Doch schon heute generieren die Menschen über knapp 3 Milliarden mobiler Breitbandzugänge Unmengen an Daten und geben den Technologen seit einiger Zeit Rätsel auf: Wie soll man diese Datenflut effizient handhaben? Wie sieht ein verantwortungsvoller Umgang mit den Informationen aus? Big Data ist dabei das Schlagwort vieler Wissenschaftler. Es beschreibt die Sammlung, Analyse und Verarbeitung komplexer sich rasch verändernder Datenmengen durch künstliche Intelligenz.
Die einen sehen darin Chancen für Wirtschaft und Bildung. Organisationskosten in Unternehmen sinken. Marktforschung wird komplex und schnell möglich. Produktangebote und Bildungsprogramme können personifiziert werden und damit weit effektiver greifen. Andere Wissenschaftler befürchten eine schleichende Beeinflussung des Menschen durch Maschinen. Zu komplex sind die Algorithmen, zu alltäglich ist der Umgang mit Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und sensorischen Geräten, als dass man sich der Beobachtung durch eine Künstliche Intelligenz noch entziehen könnte.
Yvonne Hofstetter ist Expertin für den Umgang mit enormen Datenmengen und maschinelle Lernverfahren. Als Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH beschäftigt sie sich intensiv mit den Gefahren und Möglichkeiten zukünftiger KI-Systeme. Zudem ist sie Jury-Mitglied des diesjährigen Foresight-Filmfestival, dessen Themenschwerpunkt neben Quantified-Self und Robotik auch die Post Privacy umfasst.
Sören Hartig, science2public e.V., im Gespräch mit Yvonne Hofstetter, Unternehmerin, Buchautorin und Juristin, über Big Data und die Notwendigkeit europäischer KI-Systeme.
Eine maschinelle und damit effizientere Auswertung des steigenden Datenvolumens erscheint sinnvoll. Sie sehen die derzeitige Vorgehensweise von Big-Data-Systemen kritisch. Welchen Aspekten gegenüber sind Sie skeptisch?
Yvonne Hofstetter: Zunächst muss man verstehen, was Big Data meint. Big Data ist eine profitmaximierende Philosophie kommerziell tätiger Unternehmen. Daten von Konsumenten werden gespeichert, um Geld daraus zu schürfen. Es geht hier also um Schürfrechte an Daten. Die Lebensbereiche bestehender und potenzieller Konsumenten wären dann die Claims.
Big Data ist dabei abhängig von drei Technologien. Man benötigt zum einen spezielle Archive, die neben unstrukturierten Daten wie Browseraktivitäten der User auch Non-secret Daten speichern. Das können zum Beispiel Bewegungsdaten von Kleidungsstücken sein, die mit entsprechenden Sensoren ausgestattet sind. So erfährt das System, wann und wo ein Kleidungsstück anprobiert oder nur berührt wurde. Das Beispiel zeigt auch schon ein großes Problem. Es wird immer schwieriger, sich dem Big Data zu entziehen. Weitere Faktoren für ein erfolgreiches Big Data sind Großrechner sowie künstliche Intelligenz, die aus dem gesammelten Material lernt und optimale Handlungsstrategien entwirft. Hier findet sich das zweite Problem. Die Strategien verfolgen das Ziel, den Menschen in seinem Entscheidungsverhalten zu manipulieren.
In Ihrem Buch „Sie wissen alles“, erschienen im C.Bertelsmann Verlag, rufen Sie den Menschen auf, um die Freiheit gegenüber Maschinen zu kämpfen. Inwieweit kann Big Data den Menschen beeinflussen?
Hofstetter: Die Gefahr bei Big Data besteht darin, dass der Mensch ausschließlich als Maschine betrachtet wird. Ursprünglich wurde das Internet entwickelt, damit Maschinen miteinander kommunizieren. Daran hat sich auch beim Internet der Dinge heutzutage nichts geändert. Mit steigender Tendenz sind Milliarden Dinge mit dem Internet verbunden und sammeln Daten über uns. Das Internet objektiviert den Menschen. Die KI weiß nicht, ob sie von einem Mensch oder eine Maschine Daten erhält. In der Analyse durch das Big-Data-System ist das auch nicht mehr von Interesse. Der Mensch wird als Maschine behandelt und in seiner Entscheidungsfreiheit entmachtet. Das verstößt gegen die Menschenwürde, so auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das ist das Schlachtfeld, über das ich spreche. Wenn Algorithmen meine Handlungsspielräume eingrenzen, so verstößt dies gegen die informelle Selbstbestimmung. Ein schon klassisches Beispiel dafür, sehe ich bei Google und Facebook. Hier werden die Nutzeraktivitäten ausgewertet, um personalisierte Angebote zu schalten. Der User glaubt zwar, er würde sich selbstständig und frei im System bewegen, doch seine Suchpfade werden immer spezifischer vom System geregelt. Er wird absichtlich in einer Filterblase gehalten. Politisches Wahlverhalten kann damit manipuliert werden. Das untergräbt den demokratischen Gedanken. Traurig ist, dass wir selbst die Datenflut erzeugen, die uns zu steuerbaren Objekten macht.
Welche Strategien sehen Sie, um einem Missbrauch der Daten durch Big-Data-Systemen vorzubeugen?
Hofstetter: Früher waren Maschine Werkzeuge. Wir konnten sie ausschalten. Heute laufen sie rund um die Uhr, pausenlos, asynchron und autark. Die Strategie des Boykotts, also einfach auf das Internet zu verzichten, ist heutzutage kaum noch umzusetzen. Bleibt noch zu überlegen, die Rechte der Menschen durch den Staat zu verbessern. Österreich denkt mit einem politisch verankerten Konzept zur Cyber-Sicherheit da schon sehr weit. In vielen anderen europäischen Staaten mangelt es an Handlungsbereitschaft der Politik. Der Druck, den die Industrielobby auf die staatlichen Organe ausübt, ist einfach noch zu hoch. Ich kann daher nur dafür plädieren, auf die Straße zu gehen und für seine Selbstbestimmungsrechte zu demonstrieren. Eine weitere Idee wäre ein Bezahlsystem, in dem die Maschinen für die Informationen von uns bezahlen.
In Deutschland finden Schlüsseltechnologien immer stärkere Förderung, insbesondere durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Weshalb ist diese Stärkung so wichtig?
Hofstetter: Deutschland macht sich abhängig von US-amerikanischen Herstellern der Systeme, die gegenüber der sozialen Verantwortung ihrer Technologien zu libertär denken. Die USA sind nun aber Schlüssellieferant von KI-Systemen. Deutschland hat bei der Herstellung von Technologie-Software rein gar nichts Eigenes vorzuweisen. Dadurch deklassiert es sich zu einem Systemintegrator und steigert seine Abhängigkeit von den USA. Sich ständig mit Start-Ups im Bereich Online-Shopping zu brüsten ist dabei nicht förderlich und die Szene auch nicht sonderlich innovativ. Ein algorithmisches Wettrüsten existiert seit dem Jahr 2003/4 bereits im Finanzsektor im Bereich des Hochfrequenzhandels. Hier gewinnt, wer den besseren Algorithmus hat. Deutschland hinkt in diesem Bereich weit hinterher. Daher bedarf es unbedingt einer Stärkung der deutschen Industrie im Bereich der Schlüsseltechnologien. Wir müssen eigene digitale Technologien herstellen.
Um nochmals auf die Gefahren hinzuweisen: Das Android-Betriebssystem wird nicht mehr nur in Smartphones verwendet, sondern als eingebettetes Betriebssystem auch in Fahrzeugen von BMW oder Audi. Die Gefahr besteht hierbei, dass mit dem Einbau des Betriebssystems eben auch all seine Sicherheitslücken übernommen werden. Softwarefehler könnten zu schweren Unfällen führen.
In Ihrem Unternehmen Teramark Technologies GmbH beraten Sie Firmen zu Themen Big Data und KI. Dafür entwickelt Teramark Technologies Systeme der künstlichen Intelligenz.
Wie müsste für Sie ein optimales KI-System aussehen?
Hofstetter: Das kommt auf den Einzelfall an. Optimal ist eine KI, wenn sie perfekt ihren jeweiligen Nutzen und ihre Aufgaben erfüllt. Wenn Sie KI-Systeme meinen, welche die Selbstbestimmung der User wahren, dann wäre eine Multi-Agenten-Technologie denkbar. Sie könnte Menschen helfen, mittels KI-Assistenten, mit Daten umzugehen.
Generell haben Technologen in meinen Augen die Verantwortung die Menschheit zu schützen. Daher müssen sie bei all ihren Erfindungen stets deren Bedrohungspotential mitdenken und entsprechend minimieren. Dies ist für mich auch Bestandteil der Arbeit meines Unternehmens Teramark Technologies, sowohl in der Beratung der Unternehmen, als auch in der Entwicklung der KI-Systeme.
Was hat Sie zur Jury-Teilnahme am Foresight-Filmfestival animiert?
Hofstetter: Realität und Technologie sind viel weiter, als wir denken, und die digitale Zukunft näher, als wir ahnen. Dennoch sollen wir Menschen die Zukunft gestalten, doch dazu müssen wir wissen. Und Foresight hilft unserer Erkenntnis auf die Sprünge!